Kategorie VdK-Zeitung Inklusion

Paralympics 2024 – Paris setzt neue Maßstäbe

Von: Sebastian Heise

Zwölf Tage lang haben die Paralympischen Sommerspiele in Paris und weit darüber hinaus viele Menschen begeistert. Das Wort „einmalig“ machte die Runde. Unter den erfolgreichen Athletinnen und Athleten waren auch VdK-Mitglieder.

Vor dem Pariser Eiffelturm sind das Spielfeld für das Blindenfußball-Turnier der Paralympics und die Zuschauertribünen zu sehen.
Vor dem Pariser Eiffelturm fand das Blindenfußball-Turnier der Paralympics statt. © Sebastian Heise

Die deutsche Flagge jeweils in einer Hand und verbunden mit einem Bauchgurt laufen Anja Renner und Maria Paulig auf der Pont Alexandre III ins Ziel. Alle jubeln ihnen zu, nicht nur ihre Landsleute. Zwei Tage später schwärmt Anja Renner im Gespräch mit der VdK-Zeitung von ihrem Triathlon, nicht nur, weil sie Bronze gewonnen hat. „Das Schwimmen in der Seine war völlig in Ordnung, die Radstrecke war technisch anspruchsvoll, aber hat Spaß gemacht, und das Laufen war nur noch der Hammer, weil uns so viele Zuschauer angefeuert haben“, berichtet sie.

VdK-Mitglied Anja Renner und Begleitläuferin Maria Paulig laufen ins Ziel des Para-Triathlons. Sie halten gemeinsam eine Deutschland-Flagge. Im Hintergrund ist der Invalidendom zu sehen.
VdK-Mitglied Anja Renner (rechts) und Begleitläuferin Maria Paulig kurz vor dem Ziel des Para-Triathlons. Die beiden freuen sich über die Bronzemedaille. © Ralf Kuckuck/DBS

Verena Bentele als Vorbild

Sie sei so dankbar für ihre Reise nach Paris. Dazu beigetragen hat VdK-Präsidentin Verena Bentele. „Sie ist mein Vorbild“, erzählt die 38-jährige Oberbayerin. Renner hat das Usher-Syndrom, eine Hörschädigung, die mit einer Degeneration der Netzhaut einhergeht. Deshalb braucht sie ein Hörgerät und verliert nach und nach ihre Sehkraft. Sie hat inzwischen ein Sichtfeld, das nur noch ein Zehntel so groß ist wie bei einem normal sehenden Menschen. Die Lektüre von Benteles Biografie motivierte sie, Para-Sport zu machen. Triathlon betrieb sie schon vor ihrer Erkrankung auf hohem Niveau, und  so wurde sie eine der besten Para-Triathletinnen der Welt.

Schmidberger verbeugt sich vor dem Publikum

Die Begeisterung des Publikums riss die Athletinnen und Athleten an allen Sportstätten der Paralympics mit. Thomas Schmidberger, ebenfalls VdK-Mitglied, war nach seiner Finalniederlage gegen den besten Rollstuhl-Tischtennisspieler der Welt, den Chinesen Panfeng Feng, die Enttäuschung anzumerken. Ein paar Momente verharrte der 32-Jährige an der Spielfeldumrandung bei seinem Trainer Hannes Doesseler.

Doch dann machte er eine Ehrenrunde, klatschte den tausenden Menschen in der Halle zu, verbeugte sich und lächelte. Wie schon während des Spiels applaudierte ihm das Publikum lautstark. Schmidberger genoss die Anerkennung sichtlich, gab Autogramme, bevor er die Spielstätte verließ, um sich für die Siegerehrung bereit zu machen. Die Stimmung in der Halle hat den gebürtigen Niederbayern begeistert, deswegen sei es auch eine Selbstverständlichkeit, sich zu bedanken, sagt er.

Schmidberger freute sich außerdem, seine zwei Silbermedaillen – die erste gewann er im Doppel gemeinsam mit Valentin Baus – mit Familienangehörigen und Freunden in Paris feiern zu können.
 

Siegerehrung im Einzelwettbewerb beim Rollstuhl-Tischtennis: VdK-Mitglied Thomas Schmidberger (Deutschland) gewann Silber, Panfeng Feng (China) Gold, und Yuttajak Glinbancheun (Thailand) sowie Yeongjin Jang (Südkorea) errangen Bronze.
Siegerehrung im Einzelwettbewerb beim Rollstuhl-Tischtennis (von links): VdK-Mitglied Thomas Schmidberger (Deutschland) gewann Silber, Panfeng Feng (China) Gold, und Yuttajak Glinbancheun (Thailand) sowie Yeongjin Jang (Südkorea) errangen Bronze. © Sebastian Heise

Feiern mit der Familie

Die beiden Para-Radsportler Maximilian Jäger und Michael Teuber, die auch VdK-Mitglieder sind, wurden nach dem Ende ihres Zeitfahrens auf der Straße ebenfalls von ihren Angehörigen bejubelt. Michael Teuber rief im Auslauf hinter dem Ziel seiner Familie zu, dass es wohl zu einer Medaille reicht. Der zweite Platz war für den 56-Jährigen aus Oberbayern ein Riesenerfolg. Bei seiner siebten Paralympics-Teilnahme war es bereits seine achte Medaille; fünfmal gewann er Gold.
 

Radsportler und VdK-Mitglied Michael Teuber freut sich mit seiner Familie über Silber im Einzelzeitfahren. Sie stehen zum Gruppenbild am Rande der Radstrecke der Paralympics in Clichy-sous-Bois, einem Vorort von Paris.
Radsportler und VdK-Mitglied Michael Teuber (Dritter von rechts) freute sich mit seiner Familie über Silber im Einzelzeitfahren. © Sebastian Heise

Die Straßenwettbewerbe haben die Organisatoren der Olympischen und Paralympischen Spiele in Clichy-sous-Bois ausgetragen, einem Vorort von Paris mit einer der höchsten Armutsquoten in Frankreich. Der Schauplatz bot entsprechend eine nicht so perfekte Kulisse wie der Eiffelturm beim Blindenfußball oder das Grand Palais beim Rollstuhlfechten. Die Begeisterung an der Strecke spürten Teuber und Jäger aber genauso wie die Sportlerinnen und Sportler im historischen Paris.


Sinnbildlich für die großartige Stimmung bei diesen Paralympics war der große Jubel der 64.000 Zuschauer, der bei der Schlussfeier im ausverkauften Stade de France Chef-Organisator Tony Estanguet entgegengebracht wurde. Es herrschte tosender Applaus wie auch schon zuvor an allen Sportstätten – und dieser galt nicht nur den französischen Sportlerinnen und Sportlern.
 

"Einmalige Spiele"

Der Präsident des Internationalen Paralympischen Komitees (IPC), Andrew Parsons, sagte, Paris habe die „Benchmark“ für Paralympics gesetzt, also den neuen Maßstab für kommende Spiele. Der Präsident des Deutschen Behindertensportverbands (DBS), Friedhelm Julius Beucher, fand ebenfalls nur lobende Worte für die französischen Gastgeber: „Diese Spiele können mit dem Stempel ‚einmalig‘ versehen werden.“


VdK-Präsidentin Verena Bentele, die in ihrer Funktion als Vizepräsidentin des Deutschen Olympischen Sportbunds die Paralympics besuchte, war ebenfalls begeistert. Sie gratulierte den Teilnehmerinnen und Teilnehmern und hofft auf einen Schub für Inklusion und Sport. „55 Prozent der Menschen mit Behinderung treiben keinen Sport, weil sie an Barrieren stoßen, kein inklusives Angebot finden,  keine passenden Hilfsmittel oder Assistenz haben“, berichtet Bentele. „Bundes- und Landesregierungen müssen jetzt die positiven Energien der Paralympics mitnehmen und den inklusiven Breiten- und Schulsport mit mehr Anstrengung und mehr Geld fördern. Sport ist ein Inklusionsbeschleuniger – auch für Bildung, Arbeit und das Zusammenleben. Das weiß ich nur zu gut aus meiner Zeit als Leistungssportlerin.“


Wie die Para-Athletinnen und -Athleten Vorbilder sein können, zeigt das Beispiel des zweifachen Paralympics-Gewinners und sechsfachen Weltmeisters Johannes Floors. Er ist mit fehlgebildeten Füßen und zu kurzen Waden auf die Welt gekommen – die medizinische Bezeichnung lautet Fibulaaplasie. Als Jugendlicher entschied er sich, wegen ständiger Schmerzen die Unterschenkel amputieren zu lassen. Seit einigen Jahren ist er einer der besten Prothesenläufer der Welt. Sein 400-Meter-Rennen im Stade de France, bei dem er Silber gewann, übertrug das Erste in der Primetime.

Danach meldeten sich neben Freunden und Angehörigen auch Eltern von Kindern, die ebenfalls Fibulaaplasie haben. Der 29-Jährige entschuldigte sich bei der Abschluss-Pressekonferenz des DBS direkt am Morgen nach seinem Rennen bei ihnen, dass er sich noch nicht gemeldet hat. Die Zuhörenden hatten den Eindruck, dass Johannes Floors das bestimmt tun wird. Und vielleicht sind unter diesen Kindern Paralympics-Gewinner der Zukunft.