Klischees statt Inklusion
Experte: Großer Nachholbedarf in Kino und TV
Dank vieler Sender, Filmstudios und Streamingdienste steigt die Zahl der Filme und TV-Sendungen rapide an. Was Barrierefreiheit und Inklusion betrifft, gibt es jedoch noch große Defizite, wie Expertinnen und Experten auf den Medientagen München berichteten.
„Die deutsche Filmwirtschaft hat ein Diversitätsproblem“, sagt Jonas Karpa in seinem Vortrag auf den Medientagen München. Er verweist auf eine Umfrage der Organisation „Vielfalt im Film“, an dessen Spitze Karpa als Vorstandsvorsitzender steht. Danach haben von den 6000 Filmschaffenden, die die Fragen beantworteten, viele über Diskriminierung unterschiedlicher Personengruppen, wie Menschen mit Migrationshintergrund oder mit Behinderung, geklagt.
Einerseits sind diese Personen in der deutschen Filmbranche „deutlich unterrepräsentiert“, berichtet Karpa. Andererseits werden Menschen mit Behinderung oft klischeehaft dargestellt und instrumentalisiert. So wird die körperliche oder geistige Einschränkung immer noch in den Mittelpunkt des Charakters gestellt. Oft geht es dabei um eine Opferrolle oder die eines Helden, der „trotz seiner Behinderung etwas Besonderes leistet“. Ein klassisches Beispiel ist der Oscar-prämierte Spielfilm „Forrest Gump“, in dem Tom Hanks eine Person mit Lernschwierigkeiten darstellt, der nicht nur besonders schnell laufen kann, sondern auch wichtige Ereignisse der US-Geschichte mit beeinflusst.
Zudem würden immer noch Rollen mit Behinderung von Personen gespielt, die keine körperliche Einschränkung haben. Jonas Karpa sagt, dies sei genauso abzulehnen wie „Blackfacing“, wenn also Menschen mit weißer Hautfarbe sich für eine Rolle schwarz anmalen. Wenn Produzenten behaupteten, es gäbe keine passenden Darstellerinnen oder Darsteller mit Behinderung, verweist Karpa auf entsprechende Akteure. Allerdings gibt es leider auch einen Nachwuchsmangel, da die Schauspielschulen und Filmhochschulen kaum barrierefrei und inklusiv sind, wie er kritisiert.
Karpa warb für ein Umdenken und betonte: „Es gibt viele Stellschrauben, um die Filmbranche inklusiver und vielfältiger zu machen.“ Ein zentraler Wunsch von ihm sei es, dass Menschen mit Behinderung „wie selbstverständlich in Filmen auftauchen“.
Bis zur Barrierefreiheit bleibt noch viel zu tun
Über die Bemühungen, die Nutzung von privaten TV-Sendern, Streamingdiensten und Onlineplattformen barrierefreier zu machen, ging es bei einer weiteren Veranstaltung der Medientage München. Cornelia Holsten, Direktorin der Bremischen Landesmedienanstalt, verantwortet seit zehn Jahren eine jährliche Studie über die Barrierefreiheit bei den Privatsendern. Der Anteil der Sendungen mit Untertiteln, Audio-Deskription und Gebärdensprache hat demnach zwar stetig zugenommen. Bei der Sendergruppe ProSiebenSat.1 ist beispielsweise mittlerweile ein Drittel des Programms untertitelt, bei der RTL-Familie ist es knapp ein Viertel. Holsten sagte jedoch, es müsse noch deutlich mehr passieren. Sie werde daher auch in Zukunft genau hinschauen und Verbesserungen einfordern.