Mit dem Rollstuhl auf Augenhöhe
Sie ist die erste Moderatorin einer Nachrichtensendung im deutschen Fernsehen, die im Rollstuhl sitzt. Mirjam Kottmann hat damit für viel Medienresonanz und großen Zuschauerzuspruch gesorgt.
Das „BR24“-Studio ist mit modernster Technik ausgestattet, zum Beispiel mit Kamera-Robotern. Hinter einem hohen, sehr breiten Tisch ist die Moderatorin oder der Moderator zu sehen. Seit 12. Februar gehört Mirjam Kottmann zum Moderationsteam. Doch im Unterschied zu den anderen sitzt sie. Wegen ihrer fortgeschrittenen Multiplen Sklerose (MS) kann sie nicht im Stehen moderieren. Damit die Zuschauerinnen und Zuschauer sie gut sehen, hat sie einen Spezialrollstuhl, dessen Sitzfläche hochgestellt werden kann. „So komme ich ungefähr auf 1,75 Meter Augenhöhe“, erzählt Kottmann.
„Hoffentlich bald normal“
Dass sie mit ihrem Debüt so viele Schlagzeilen macht, hat sie nicht erwartet. Statt selbst zu berichten, wie sie es seit rund drei Jahrzehnten als Journalistin macht, wird sie seit Wochen von Kolleginnen und Kollegen anderer TV-Sender, Zeitungen und Zeitschriften interviewt. Sie macht das gerne, um damit auch die Inklusion voranzutreiben. Sie ist sich aber auch sicher: „Das Interesse wird irgendwann abebben, und dann wird es hoffentlich normal sein.“
1997 machte Kottmann als Journalistik-Studentin ein Praktikum bei der „Rundschau“, dem Vorgänger von „BR24“. Sie überzeugte so, dass sie nach Abschluss des Studiums gleich dort anfangen konnte.
Doch die Anfangszeit beim BR wurde überschattet: Nur wenige Monate nach ihrem Berufseinstieg wurde bei einer Lumbalpunktion Multiple Sklerose diagnostiziert. Bereits zwei Jahre vorher hatte sie erste Symptome wie Seh- und Gleichgewichtsstörungen. Sie wandte sich an eine Münchner Selbsthilfegruppe und bekam den Tipp, die Diagnose nur engsten Vertrauten zu erzählen und in der Arbeit zu verschweigen.
Diesen Rat befolgte sie, so lange es ging. Dank Cortison konnte sie auch actionreiche Reportagen machen, bei denen die leidenschaftliche Sportlerin auf Gipfel kletterte und die Skiabfahrt in Schladming hinunterfuhr. Später verletzte sie sich beim Wintersport schwer. Diesen Unfall nahm sie in der Folge immer wieder als Vorwand, wenn sie sich mit Krücken fortbewegte und unsensible Fragen bekam. Dennoch ließ sie sich nicht ausbremsen und war als Reporterin im In- und Ausland unterwegs. Sie half mehrfach in den ARD-Studios in Wien und Rom aus und berichtete auch vom Tod Papst Johannes Paul II. Kurz vor den Liveschalten vom Petersplatz legte sie ihre Armstützen zur Seite und machte ihre Aufsager.
2012 konnte sie ihre Erkrankung nicht mehr verschweigen. „Ich habe mit dem rechten Bein immer stärker gehinkt“, berichtet Kottmann. Sie informierte ihren Vorgesetzen. Mit dem Rollstuhl gefilmt werden wollte sie zunächst nicht, bis das ARD-Morgenmagazin sie 2020 als Reporterin zur Münchner Tafel schickte. Sie wies die Redaktion in Köln darauf hin, dass sie im Rollstuhl sitzt. „Na und?“ war die Reaktion.
Kottmann macht Mut
Nach der Sendung schrieb ihr ein 16-jähriges Mädchen, das ebenfalls im Rollstuhl sitzt. Beim Anschauen des Berichts habe sie vor Glück Tränen in den Augen gehabt, erzählte das Mädchen. Bis dahin habe sie immer gedacht, sie könne aufgrund ihrer Behinderung nicht Reporterin werden. Nun habe sie wieder Mut, weiter ihren Berufswunsch zu verfolgen.
Dieser Brief änderte Kottmanns Einstellung, und sie versteckte den Rollstuhl danach nicht mehr. Sie übernahm Moderationen in ARD alpha und im BR Fernsehen. Positive Rückmeldungen bestärkten sie, und so bewarb sie sich für die „BR24“-Sendung und setzte sich im Casting durch.
VdK-Landesvorsitzende Verena Bentele schrieb dem BR: „Ich danke Ihnen sehr herzlich für diesen wichtigen Schritt.“ Und Bentele fügt hinzu: „Der Rollstuhl ist da, aber er ist nicht das Thema. Das ist Inklusion.“