Kategorie VdK-Zeitung Behinderung

Rund um die Uhr im Einsatz

Von: Annette Liebmann

Wer Kinder mit Behinderung pflegt, wird von der Politik meist übersehen

Auf dem Foto sieht man Jana mit ihrem jüngsten Sohn im Wohnzimmer. Sie sitzt auf dem Boden und hilft ihm, die Socken anzuziehen.
Jana Hörmann* mit ihrem jüngsten Sohn Joshua*: Der Zwölfjährige braucht Hilfe beim Essen, Waschen und Anziehen. © VdK Bayern/Annette Liebmann

Schon ein Kind mit Behinderung zu pflegen, ist eine große Aufgabe. Jana Hörmann* aus München hat gleich drei: Ben* (16), Sarah* (14) und Joshua* (12) haben eine Zerebralparese und sind sowohl motorisch als auch kognitiv eingeschränkt. Die alleinerziehende Mutter muss sich rund um die Uhr um alles kümmern.

Jana Hörmanns Tag beginnt morgens um 5.30 Uhr. Dann weckt sie die Kinder, damit sich alle waschen, anziehen und frühstücken können, „jeder in seinem Tempo“. In der kleinen Wohnung im vierten Stock gibt es nur ein Badezimmer. „Bis da alle durchgeschleust sind, kann es bis zu zweieinhalb Stunden dauern“, sagt sie.

Danach gönnt sie sich ein Frühstück, bevor sie die Wohnung aufräumt, wäscht und bügelt, Einkaufen geht, Arzttermine macht und sich um den Schriftverkehr, etwa mit den Krankenkassen, kümmert. Ein bis zwei Stunden wöchentlich kommt eine Haushaltshilfe und zwei bis drei Stunden eine Betreuungskraft, die sie von den 125 Euro für Entlastungsleistungen bezahlt. Gerne würde sie auch Verhinderungspflege beantragen, aber in München gibt es keine Angebote.

Heute hat die Haushaltshilfe kurzfristig abgesagt. Hörmann ist selber angeschlagen. Sie war am Vortag sechs Stunden unterwegs, Ärzte, Therapeuten, Besorgungen. „Jetzt bin ich k.o.“, sagt die 42-Jährige. Vorhin hat sie noch eine Schmerztablette genommen und sich kurz hingelegt. Richtig krank werden darf sie nicht. „Sobald ich ausfalle, wird’s eng.“

Jedes Kind muss intensiv betreut werden, weil es den Alltag alleine nicht bewältigen kann. Vor allem der Jüngste braucht viel Unterstützung. Hinzu kommen starke körperliche Einschränkungen: Alle drei benötigen eine Brille, einen Rollstuhl und benutzen Orthesen, also Stützen, um einigermaßen sicher laufen zu können. Der Kampf um Hilfsmittel oder die Reparatur der Rollstühle sei zermürbend, erzählt die gelernte Hebamme. Außerdem müsse sie die Kinder häufig zu Fachärzten fahren, oft quer durch die ganze Stadt.

Als Ben, ihr Ältester, geboren wurde, wusste sie noch nicht, dass er eine Behinderung hat. Mit 15 Monaten, als er sich überall hochzog, um laufen zu können, bemerkte sie, dass die Füße nicht mitspielten. „Anfangs dachte ich, das sei ein rein orthopädisches Problem.“

18 Monate nach Ben kam Sarah zur Welt. Auch bei ihr ließen sich lange keine Beeinträchtigungen erkennen. Dass die beiden Größeren eine Zerebralparese haben, stellte sich erst heraus, als Hörmann mit Joshua schwanger war. Als Ursache vermuten die Ärzte einen Gendefekt. Auch Joshua hat diese Behinderung. Er und seine Schwester haben Pflegegrad 4, der Große hat Pflegegrad 3. „Meine Kinder müssen immer in einer geschützten Umgebung leben. Das schließt viele Lebenswege aus“, bedauert sie.

Sieben Jahre kaum Schlaf

Von Anfang an hat sich Jana Hörmann ohne die Hilfe ihres Ehemanns fast komplett allein um die Kinder gekümmert. Lange Zeit schlief sie keine einzige Nacht durch. „Die ersten Jahre habe ich nur versucht, zu überleben“, erinnert sie sich. 2014 machte sie zum ersten Mal Urlaub. „Ich habe fast zwei Wochen gebraucht, bis ich von meinem hohen Stresslevel wieder herunterkam“, erzählt sie. „Da habe ich gemerkt, dass ich mehr auf mich achten muss.“

Ihre Ehe hat diese Extrembelastung nicht überlebt: „Es erfordert viel Einfühlungsvermögen, um herauszufinden, wie man seinen Partner unterstützen kann. Bei uns haben solche Gespräche nicht stattgefunden.“

Was wünscht sich eine Mutter, die an sieben Tagen rund um die Uhr drei Kinder mit Behinderung versorgt? Deren Arbeitszeit so immens ist, dass es mindestens zwei professionelle Pflegekräfte bräuchte, um sie zu ersetzen? „Endlich Urlaub“, sagt Jana Hörmann. Und zwar mit Betreuung der Kinder, damit sie einmal im Jahr für zwei Wochen ausspannen kann. Außerdem würde sie sich wünschen, dass die Mitmenschen mehr Geduld und Rücksicht im Umgang mit anderen zeigen.

Auch finanziell könnte es besser sein. Die zwei Älteren gehen in eine Privatschule, wo sie besonders gefördert werden. Außerdem bräuchte die Familie dringend ein neues Auto, denn das alte ist zu klein, um alle drei Rollstühle zu transportieren. Zusätzlich sollte es eine Rampe haben. Bisher wuchtet Hörmann die Rollstühle mit ihrer Hüfte hoch – auch den elektrischen Rollstuhl ihres jüngsten Sohnes.

„Mütter mit Kindern mit Behinderung können Unmögliches möglich machen“, sagt sie. Doch das werde von der Politik nicht gewürdigt. Dem Arbeitsmarkt stehen Frauen wie sie nicht zur Verfügung. Auch die Aussicht auf ihre spätere Rente ist nicht gerade rosig. „Da ist gesetzlich noch viel zu tun“, bekräftigt Hörmann.

*Namen von der Redaktion geändert