Kategorie VdK-Zeitung Pflege

Spagat zwischen zwei Welten

Von: Annette Liebmann

VdK-Mitglied berichtet, wie schwer es ist, Pflege und Berufstätigkeit miteinander zu vereinbaren

Auf dem Foto sieht man Gabriele und Klaus Mair-Bolland.
Gabriele Mair-Bolland steht noch mitten im Berufsleben und pflegt ihren Ehemann Klaus. © VdK Bayern/Annette Liebmann

Viele pflegende Angehörige stehen vor der Herausforderung, die Pflege mit ihrem beruflichen Alltag zu vereinbaren. So auch VdK-Mitglied Gabriele Mair-Bolland aus einer kleinen Gemeinde im Landkreis Dachau: Die 62-Jährige arbeitet in München und versorgt gleichzeitig ihren Mann – ein Spagat, der sie immer wieder an ihre Grenzen bringt.

Eine Erkrankung hat das Leben von Klaus Bolland und Gabriele Mair-Bolland für immer verändert: 2015 wurde bei Klaus Bolland ein Lymphom im zentralen Nervensystem entdeckt. Bei der Operation erlitt er eine Hirnblutung, lag mehrere Wochen im Koma, und sein Zustand war lange Zeit kritisch. Schließlich erholte er sich, ist aber seither halbseitig gelähmt.

2017 wurde bei ihm dann die Nervenkrankheit Polyneuropathie diagnostiziert. Dabei werden Nerven geschädigt oder unwiederbringlich zerstört. Die Folgen können Missempfindungen, ein unsicherer Gang und eine eingeschränkte Motorik sein. Gleichzeitig bemerkte Gabriele Mair-Bolland, wie sich die Persönlichkeit ihres Mannes veränderte. „Auf den ersten Blick schaut er gesund aus – aber er hat kognitive Einschränkungen und kann Gefahren und sein eigenes Können nicht mehr richtig einschätzen“, berichtet sie.

In den vergangenen Jahren hat sich der Zustand von Klaus Bolland so verschlechtert, dass er pflegebedürftig wurde. Der 65-Jährige hat derzeit Pflegegrad 2, eine Höherstufung mittels telefonischer Begutachtung ist nur knapp gescheitert. „Mein Mann braucht unbedingt einen höheren Pflegegrad. Er ist nicht dement, aber auch nicht mehr in der Lage, Verantwortung für sich zu übernehmen“, sagt Gabriele Mair-Bolland. Auch motorisch ist er eingeschränkt: Er läuft noch mühsam am Gehstock und nutzt oft einen Rollstuhl.

An zwei Tagen pro Woche kann die Sozialpädagogin von zu Hause aus arbeiten und sich um ihn kümmern, an zwei weiteren Tagen ist ihr Mann in der Tagespflege. Für einen dritten Tag hat die Einrichtung keinen Platz frei. An diesem Tag ist Klaus Bolland allein. 

Blaues Wunder

„Wenn ich dienstags von der Arbeit nach Hause komme, erlebe ich manchmal ein blaues Wunder“, erzählt die 62-Jährige. Mehrfach ist ihr Mann schon gestürzt und hat sich dabei das Handgelenk oder eine Rippe gebrochen. „Einmal habe ich ihn vor dem Haus auf dem Boden liegend aufgefunden, ein andermal ist er mit dem Bus weggefahren, und ich wusste nicht, wohin“, schildert sie. „Er ergreift jede Gelegenheit, um das Haus zu verlassen – mit zum Teil fatalen Folgen.“ Hinzu kommt, dass er wieder mit dem Rauchen angefangen hat, was wiederum die Polyneuropathie verschlimmert. Als er auf Reha war, habe ihn die Klinik deshalb vorzeitig entlassen mit der Begründung, das Risiko nicht übernehmen zu wollen, erzählt sie. „Stattdessen liegt die Verantwortung nun ganz bei mir, und ich muss die Aufpasserin spielen – eine Rolle, die ich nicht gerne einnehme“, sagt Mair-Bolland.

Sie wünscht sich, dass zumindest am Wochenende ab und an jemand da ist, der sie stundenweise entlastet, damit sie neue Kraft schöpfen kann. Denn für sich selbst bleibt ihr mit Vollzeit-Job, eineinhalb Stunden Fahrzeit bis zum Arbeitgeber, der Pflege des Ehemanns, dem Haushalt und einer betagten Mutter, die zwischendurch ebenfalls Unterstützung braucht, nur wenig Zeit. „Ich fühle mich oft gestresst“, bekennt sie, „und dann werde ich ungeduldig meinem Mann gegenüber, was nicht in Ordnung ist“. Ein paar Mal hat sie sich eine Auszeit genommen. „Aber wenn ich dann weg war, ist immer etwas Schlimmes passiert.“

Wenn Klaus Bolland in der Tagespflege ist, fühlt sich seine Frau beruhigt. „Da weiß ich ihn gut versorgt“, sagt sie. Gerne hätte sie noch den dritten Tag abgedeckt, aber sie steht schon lange auf der Warteliste. Bisher gibt es keine Chance, dass mal ein Platz frei wird. Außerdem hofft sie, dass ihr Mann bei der nächsten Pflegebegutachtung Pflegegrad 3 erhält, damit er mehr Geld für Pflegesachleistung bekommt. Denn er hat nur eine niedrige Rente, die bei Weitem nicht ausreichen würde, um zusätzliche Pflegeleistungen aus eigener Tasche zu finanzieren.