Kategorie VdK-Zeitung Gesundheit

Umarmungen sind gesund und notwendig

Von: Elisabeth Antritter

Erkenntnisse aus Psychologie und Neurologie verdeutlichen, dass körperliche Nähe ein menschliches Grundbedürfnis ist

Porträtfoto von Psychologin Sonya Anders
Psychologin Sonya Anders © privat

An jedem Postkartenständer findet man Grußkarten mit Tiermotiven. Beispielsweise eine Koalabärin, die ihr Kleines auf dem Arm trägt, darunter das Sprüchlein „Hab Dich zum Knuddeln gern.“ Weshalb gerade Menschen Umarmungen fürs Wohlbefinden brauchen, erklärt die Psychologin Sonya Anders im Interview.

Weshalb sind Umarmungen ein angeborenes Grundbedürfnis?

Neugeborene sehen sich in den ersten sechs Lebensmonaten als eins mit der Mutter oder mit der Hauptbezugsperson. In diesem Zustand der absoluten Symbiose sind Körperkontakt und Umarmungen sehr wichtig. Die neuronalen Verknüpfungen von Säuglingen sind von Beginn an so programmiert, dass Körpernähe als existenzsichernd, wohltuend und Sicherheit vermittelnd empfunden wird.

Neugeborene verstehen noch nicht die Bedeutung verschiedener Wörter oder Sätze. Sie interpretieren die Bedeutungen zunächst über Berührung, Gestik, Mimik und Stimmlage. Ein Beispiel: Wenn die Hauptbezugsperson bei einem schreienden Baby aus dem Nebenzimmer ruft „Ich bin ja da“, spendet das dem Nachwuchs keinen Trost. Nimmt die Person hingegen das Kind hoch und umarmt es, wird es die Bedeutung verstehen und körperlich abspeichern.

Was passiert in unserem Körper, wenn wir geherzt werden?

Umarmungen lösen eine Vielzahl hormoneller und neurobiologischer Reaktionen aus. Es werden Hormone wie das Bindungshormon Oxytocin sowie das Glückshormon Serotonin ausgeschüttet. Die vermehrte Produktion von Serotonin hebt unsere Stimmung. Wir fühlen uns wohler. Der Cortisol-Spiegel wird durch Liebkosungen nachweislich gesenkt. Körperliche Zuwendung wirkt also stressreduzierend. Der Neurotransmitter Dopamin ist ein Botenstoff, der ebenfalls bei Umarmungen produziert wird. Er nimmt positiven Einfluss auf unser Belohnungssystem und wirkt zudem antidepressiv und stimmungsaufhellend. Nicht zuletzt steigt auch unser Selbstwert, wenn wir von einer Person zärtlich berührt werden.

Kann umgekehrt ein Mangel an körperlicher Nähe krank machen?

Wenn körperliche Zuwendung dauerhaft fehlt, steigt das Risiko für seelische Erkrankungen. Das hat zuletzt die Corona-Pandemie gezeigt: Aufgrund der Kontaktbeschränkungen ist die Anzahl der Menschen, die psychische Störungen entwickelt haben, gestiegen.

Steigert es auch das Wohlbefinden, wenn man ein Tier streichelt?

Ob Hund oder Katze – der körperliche Kontakt zu Tieren kann sich positiv auf die seelische Gesundheit auswirken. Insbesondere traumatisierte Personen, die in ihrer Vergangenheit negative Erfahrungen mit menschlichem Körperkontakt gemacht haben, können sehr von Therapietieren profitieren. Doch auch die Pflanzenwelt kann helfen: Neurologen fanden heraus, dass die Umarmung eines Baumes Glücksgefühle freisetzen kann. 

Oft wird beklagt, dass Pflegekräfte zu wenig Zeit haben, um Nähe zu schenken. Lässt sich das ändern?

Es ist bekannt, dass Pflegebedürftige unter mangelnder Zuwendung leiden. Daher sollte das Problem schon in der Ausbildung oder bei Schulungsmaßnahmen der Pflegekräfte stärker thematisiert werden. Denn der heilsame Körperkontakt bedarf keiner zeitintensiven Aktion: Laut einer Studie der American Psychosomatic Society kann bereits nach einer 20-sekündigen Umarmung ein steigender Oxytocin-Spiegel nachgewiesen werden.

Und einsame Menschen?

Wenn es keine familiären Kontakte gibt, ist es ratsam, gemeindenahe Seniorenangebote zu nutzen. Auch gemeinsame Mahlzeiten machen zufrieden. Wenn es die Mobilität noch zulässt, gibt es die Möglichkeit, sich Familien als „Pflege-Omi“ oder „Pflege-Opi“ anzubieten. Zudem könnte ein Haustier das Einsamkeitsgefühl senken.