Kategorie VdK-Zeitung Pflege

Chor für Menschen mit und ohne Demenz

Von: Annette Liebmann

„Es ist erstaunlich, wie die Musik Menschen mit Demenz aufblühen lässt“, sagt Martina Hellmann. Sie ist Leiterin des Chors „Grenzenlos“, ein Angebot der „Sing- und Musikschule Mozartstadt Augsburg“ für Menschen mit und ohne Demenz. 

Chorleiterin Martina Hellmann (links) und einige ihrer Sängerinnen und Sänger bei der Chorprobe.
Chorleiterin Martina Hellmann (links) und einige ihrer Sängerinnen und Sänger bei der Chorprobe. © VdK Bayern/Annette Liebmann

Freitagmorgen um 10 Uhr, die Chorprobe beginnt: Der Saal ist fast voll, es fehlen noch Stühle. Immer mehr Menschen strömen herein, allein oder zu zweit, mit und ohne Rollator. Mehr als 100 Seniorinnen und Senioren nehmen Platz und begrüßen die Chorleiterin mit Applaus.

Erst werden die Gesichtsmuskeln aufgelockert, dann ist die Stimme dran. Hellmann steht am Flügel und singt vor: „Nutella, Nutella, Nutella, Nutella, Nutella“ – „Spaghetti, Spaghetti, Spaghetti, Spaghetti, Spaghetti“. Die Stimmung ist heiter. Das liegt auch an der lebhaften Chorleiterin, die mit viel Humor Anweisungen gibt. „Das singen wir mit einem kleinen Mund“, sagt sie und küsst in die Luft. Dann kündigt sie das erste Lied an. „Heute machen wir voll was fürs Gehirn.“

Gegründet wurde der Demenzchor „Grenzenlos“ im Oktober 2018 auf Initiative des Verbunds Demenz und der städtischen Musikschule mit ihrem Leiter Karl Höldrich. Seinen ersten Auftritt hatte der Chor am Welt-Alzheimertag im September 2019. Seit dem Ende der Corona-Pandemie schließen sich immer mehr Sängerinnen und Sänger der Gruppe an. 

„So ein Projekt steht und fällt mit der Chorleitung“, sagt Dr. Jens Schneider, Gründungsmitglied der Augsburger Alzheimer Gesellschaft, die Mitglied im Verbund Demenz ist. Auch die Gemeinschaft motiviert zur Teilnahme: „Nach der Chorprobe gehen die Mitglieder noch aus, oder sie verabreden sich zum Wandern oder zum Museumsbesuch“, schildert er.

Musik aus der Jugend

Zum Repertoire des Demenzchors gehören Kanons, Volkslieder, Schlager, alte Melodien aus Filmen, Operetten und manchmal auch Opern. Die meisten Melodien kennen die Teilnehmenden noch aus ihrer Jugend. So wie „Wer recht in Freude wandern will“. „Wieso können das so viele auswendig?“, will die Chorleiterin wissen. „Das haben wir in der Schule gesungen“, erklärt eine Sängerin. 

Was ist Hellmanns Erfolgsrezept? „Humor, gute Laune und Spaß“, verrät sie. Ihr mitreißendes Temperament kommt gut an. „Eigentlich wollte ich nur meinen Mann hier absetzen, damit ich zum Sport gehen kann“, sagt Doris Houben. „Aber dann bin ich auch dabeigeblieben.“ Ihr Mann Herbert Houben fügt hinzu: „Man wird richtig lebendig hier.“ Beide sind seit einem Jahr dabei.

Lichtblick und Geschenk

Mutter Dagmar und Tochter Birgit kommen ebenfalls einmal wöchentlich. Die Mutter hat Demenz und spricht nicht mehr viel. „Aber wenn wir von hier wieder weggehen, singt sie vor sich hin“, schildert ihre Tochter. Musik sei immer „Seelenbalsam“ für die Mutter gewesen. „Sie singt hier auch Sachen, die sie noch nicht kennt.“

Martina Hellmann liebt ihre Aufgabe. Eigentlich unterrichtet sie Kinder, aber die Seniorinnen und Senioren im Chor sind ihr richtig ans Herz gewachsen. „Das ist ein Geschenk für mich und ein Lichtblick für die anderen“, betont sie. Wie beispielsweise für die demenzkranke Frau, die ihr mitgeteilt hat, wie froh sie ist, ein Hobby gefunden zu haben, bei dem sie nicht „abgestempelt“ wird. Oder für die Witwe, deren Mann kürzlich gestorben ist, und die nun hier beim Singen Trost findet. Viele Frauen, die kommen, haben nur eine kleine Rente und können sich andere Freizeitangebote nicht leisten. 

Als Leiterin eines Demenzchors wird man immer wieder mit Alter und Tod konfrontiert. „Man muss lernen, mit dem Verlust zu leben“, bekennt Hellmann. Dennoch möchte sie den Chor nicht mehr missen. „Das ist absolut mein Ding.“

Auf dem Foto sieht man zwei VdK-Zeitungen. Auf den Zeitungen sind die Wörter Demenz, Rat und Hilfe und VdK mit Scrabble-Buchstaben gelegt.

Rat und Unterstützung bei Demenz

Das Ressort „Leben im Alter“ bietet kompetente Beratung für Angehörige von Menschen an, die an Demenz erkrankt sind.