Kategorie VdK-Zeitung

Auf der Suche nach Erinnerungen

Von: Dr. Bettina Schubarth

VdK-Mitglied entdeckt bei Münchner Gedenkveranstaltung für NS-Opfer eine Tafel für ihren Urgroßvater

Foto von Ulli S. mit Familienfotobuch.
Ulli S. ist die Urenkelin von Johann Nimmerfall. Sein Schicksal als frühes NS-Opfer prägt ihre Familiengeschichte bis heute. © VdK Bayern/Dr. Bettina Schubarth

Bei der „Rückkehr der Namen“, einer Aktion des Bayerischen Rundfunks am 11. April, wurde  1000 Münchner NS-Opfern gedacht. VdK-Landesvorsitzende Verena Bentele war Patin für eine verfolgte und ermordete Frau. VdK-Mitglied Ulli S. entdeckte in der VdK-Zeitung auf einem Foto eine Tafel mit dem Namen ihres Urgroßvaters in der Menschenmenge. Sie erinnerte sich wieder an ihre besondere Familiengeschichte.

„Es tut gut zu sehen, dass mein Urgroßvater Johann Nimmerfall nicht ganz vergessen ist. In meiner Familie hat sein Schicksal Spuren hinterlassen. Er beschäftigt mich bis heute“, erzählt Ulli S., die in einem Münchner VdK-Ortsverband ehrenamtlich aktiv ist. Die Vorstandschaft hat schon Lesungen zu Kriegsschicksalen, die bis heute fortwirken, organisiert.

Nur Bruchstücke

Auf Fotos, die Ulli S. zeigt, ist ein gepflegter freundlicher Herr zu sehen. 90 Jahre ist es her, dass er starb. Immerhin erinnert die Nimmerfallstraße in München-Pasing an ihn. „Das ist dein Urgroßvater,“ sagte ihre Großmutter einmal beiläufig zu ihr, als sie zusammen durch diese Straße gingen. Und, ja, ein Foto des Mannes mit dem charakteristischen Schnauzer hing immer in der Wohnung. Aber die Geschichte dieses Mannes blieb für sie bruchstückhaft. Und das, obwohl es den Großonkel Karl noch gab. Den Sohn des Urgroßvaters besuchte Ulli S. als Kind. Auch er trug dazu bei, dass sie sich für die Vergangenheit ihrer Familie zu interessieren begann. 

Sie weiß, dass Karl bis ans Ende seines Lebens große Furcht davor hatte, „abgeholt“ zu werden. Seit einer schweren Erkrankung 1929 litt er an einer Lähmung und erblindete. Seine Mutter versorgte ihn zu Hause. Ihr war klar, dass der kranke junge Mann ein Opfer der „NS-Euthanasie“, der planmäßigen Tötung von Menschen mit Behinderung, werden würde, sobald er in eine Pflegeeinrichtung oder Klinik käme. Der Preis für diesen Schutz war hoch. So konnte Karl bei Luftangriffen in München nicht in den Schutzkeller gebracht werden, sondern musste hilflos im zweiten Stock im Bett liegen bleiben. Doch immerhin überlebte er diese barbarische Zeit.

Sein Vater Johann Nimmerfall war 1934 ein Opfer der Nazi-Verfolgung geworden. Dabei hatte für ihn bis 1933 alles nach einem gelingenden Leben ausgesehen. Nimmerfall war ein Aufsteiger. Der gelernte Schreiner wurde zum Leiter einer Baugenossenschaft. Ab 1912 saß er für die SPDkurz fürSozialdemokratische Partei Deutschlands im Landtag. Er kümmerte sich um den kommunalen Wohnungsbau in Bayern. 

1933 wurde der Politiker verhaftet, kam zunächst ins Gefängnis, später ins gerade errichtete Konzentrationslager Dachau. Er starb mit 62 Jahren, am 20. August 1934, im Pasinger Krankenhaus an den Folgen der erlittenen Qualen.

Schwere Last

Die Mutter von Ulli S., Jahrgang 1931, spürte sicherlich schon als Kind die schwere Last, die auf der Familie lag. Reden wollte sie trotzdem kaum darüber. Manchmal, sagt Ulli S., bricht sich das Unterdrückte aber seine Bahn. „Sie war total geschockt über den Kriegsausbruch in der Ukraine. Da kam wohl einiges hoch“, vermutet sie. 

Ulli S. erinnert sich selbst an Momente in ihrem Leben, in denen sie die Vergangenheit ihrer Familie einholte. Als ihre Schulklasse in die KZ-Gedenkstätte Dachau fuhr, konnte sie nicht mitfahren: „Mir war einfach nur schlecht.“ Mittlerweile stellt sie sich ihrer Familiengeschichte. Sie ist stolz auf ihren Urgroßvater. Als „stilles aufrechtes Bewusstsein“ beschreibt sie dieses Gefühl. Die „Rückkehr der Namen“ hat sie darin bestärkt, auf Spurensuche zu bleiben und noch mehr über Johann Nimmerfall zu erfahren.

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