Der Moment, der über die Rente entscheidet
Fast 10 000 Mal haben Juristinnen und Juristen des VdK im Jahr 2024 Mitglieder an bayerischen Sozialgerichten vertreten. Jedes dritte Verfahren endete für die Klagenden positiv. Wir waren bei einem Prozesstag dabei.

15. Kammer des Sozialgerichts Regensburg: Sechs Verfahren stehen heute an, in denen VdK-Sozialrechtsvertreter Sebastian Humbs Verbandsmitglieder vertritt. Alle sechs Personen haben vergeblich Erwerbsminderungsrente beantragt und hoffen nun, vor Gericht Erfolg zu haben.
Im Flur des Gerichts warten Frauen und Männer auf ihre Verhandlung. Die Anspannung ist groß. Humbs hat im Saal am Tisch der klagenden Partei Platz genommen ebenso wie der Vertreter der Deutschen Rentenversicherung ihm gegenüber. In der Mitte sitzt der Vorsitzende Richter in seiner schwarzen Robe. Links am Richtertisch tippt die Urkundsbeamtin in ihren Computer.
Arbeitsfähig oder nicht?
Humbs studiert ein paar DinA4-Seiten, die er erst kurz vorher bekommen hat. Diese Akte ist entscheidend für die kommenden 20 bis 30 Minuten: das medizinische Gutachten. Dieses wurde erst wenige Tage zuvor nach der Untersuchung des Klägers erstellt. Solche Gutachten enthalten alle relevanten Erkrankungen und körperlichen Einschränkungen. Die wichtigsten Sätze sind die, in denen ausgeführt ist, wie viele Stunden am Tag die oder der Betroffene aus medizinischer Sicht noch arbeiten kann: Sechs oder mehr heißt voll erwerbsfähig, drei bis unter sechs bedeutet teilweise erwerbsfähig und unter drei Stunden heißt, die Person ist nicht mehr in der Lage, auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt tätig zu sein.
Nachdem Humbs das Gutachten angeschaut hat, geht er in den Flur, begrüßt das Mitglied und gibt die entscheidenden Passagen wieder. Für den 61-jährigen Armin Meier* hat er eine gute Nachricht. Der Arzt, der ihn im Auftrag des Gerichts untersucht hat, sieht für ihn aufgrund seiner verschiedenen physischen und psychischen Beeinträchtigungen keine Möglichkeit, drei Stunden oder mehr am Tag zu arbeiten. Nach langer Krankschreibung und Arbeitslosengeld hatte Meier sehr auf die EM-Rentekurz fürErwerbsminderungsrente gehofft.
Zuversichtlich betreten Meier und Humbs den Gerichtssaal. Der Richter begrüßt alle Prozessbeteiligten namentlich, liest das Gutachten vor, blickt Richtung Vertreter der Rentenversicherung und fragt diesen, ob er die volle EM-Rentekurz fürErwerbsminderungsrente für drei Jahre gewähren würde. Nach dem eindeutigen Gutachten bejaht dieser die Frage.
In der Folge diskutieren beide Seiten noch, von wann bis wann die Erwerbsminderungsrente bezahlt wird. Meiers Arbeitslosengeld ist bereits ausgelaufen, und bis zur Rente für Schwerbehinderte muss er noch mehr als drei Jahre warten. Nach einigem Rechnen einigen sich beide Seiten auf den 1. März 2025. Um die Zeit bis zur anschließenden Altersrente für schwerbehinderte Menschen zu überbrücken, muss Meier daher vor Ablauf der EM-Rentekurz fürErwerbsminderungsrente im Jahr 2028 einen „Weitergewährungsantrag“ stellen. Dabei unterstützt ihn gerne wieder der VdK.
Der Richter fragt, ob beide Seiten diesem Vergleich zustimmen. Sie bejahen, und so wird dieses Verfahren beendet. Armin Meier ist erleichtert und bedankt sich herzlich bei Sebastian Humbs.
Keine Urteile
Alle sechs Verfahren, die Humbs an dem Tag betreut, enden mit einem Vergleich. Ein Urteil wäre auch nicht möglich gewesen. Dazu wären zusätzlich zwei ehrenamtliche Richterinnen oder -richter nötig gewesen. Seit der Corona-Pandemie finden oft solche Erörterungstermine mit nur einer Richterin oder einem Richter statt. Ziel war es damals, die Zahl der Anwesenden im Saal zu reduzieren.
Dreimal bekommen die VdK-Mitglieder an diesem Tag Rente zugesprochen, dreimal nicht. Jedes Mal nach der Entscheidung spricht Humbs im Flur nochmal mit den Klägerinnen und Klägern und erläutert ihnen, welche weiteren Unterstützungsmöglichkeiten sie haben. Er rät, Therapien und Rehabilitationen zu beantragen und ärztliche Befunde zu sammeln, um für einen neuerlichen Antrag gewappnet zu sein.
Sebastian Humbs betont am Ende des Tages: „Mir ist es wichtig, jedem Mitglied einen Weg aufzuzeigen.“
*Name von der Redaktion geändert