Kategorie VdK-Zeitung Sozialpolitik

Der Sozialstaat ist die Lösung

Von: Dr. Bettina Schubarth

Zweitägige VdK-Veranstaltung zur aktuellen Sozialpolitik in München

VdK-Landesvorsitzende Verena Bentele und VdK-Landesgeschäftsführer Michael Pausder mit den Gästen des ersten Tags (von links): Dr. Jennifer Eckhardt, Prof. Dr. Achim Truger, Alexander Hagelüken und Prof. Dr. Fabian Pfeffer.
Abschlussfoto von Tag eins des sozialpolitischen VdK-Forums (von links): Dr. Jennifer Eckhardt, Professor Dr. Achim Truger, Alexander Hagelüken, Verena Bentele, Professor Dr. Fabian Pfeffer und Michael Pausder. © VdK Bayern/Tina Würzburger

Beim traditionellen Forum des VdK Bayern stand das soziale Sicherungssystem im Mittelpunkt der Vorträge und Diskussionen. 

„Der Sozialstaat ist nicht das Problem, er ist die Lösung.“ Dieses Zitat von VdK-Landesvorsitzender Verena Bentele fasst die beiden Tage des sozialpolitischen VdK-Forums in München treffend zusammen. Namhafte Expertinnen und Experten aus Wissenschaft und Politik widerlegten den Mythos des angeblich zu teuren Sozialstaats. 

Gerade wegen der insgesamt angespannten Situation sei soziale Sicherheit so wichtig wie nie, betonte VdK-Landesgeschäftsführer Michael Pausder. Er begrüßte mehr als 100 Teilnehmende aus der Sozialgerichtsbarkeit, aus Wissenschaft, Krankenkassen und Gewerkschaften sowie aus dem VdK-Haupt- und Ehrenamt. Alexander Hagelüken, leitender Wirtschaftsredakteur der „Süddeutschen Zeitung“, führte mit viel Sachverstand durch beide Tage.

Verena Bentele kritisierte in ihrer Auftaktrede, dass viele gesamtgesellschaftliche Aufgaben über die Sozialversicherungen und nicht über Steuern finanziert werden. 4,19 Prozentpunkte der Sozialversicherungsbeiträge werden dafür ausgegeben. „Mein Vorschlag: statt die Sozialversicherungen weiterhin als Sparbuch zu missbrauchen, endlich die Beiträge absenken und die Aufgaben, die uns alle angehen, auch von allen finanzieren lassen.“

Maßloser Sozialstaat?

Professor Dr. Achim Truger ist eines von fünf Mitgliedern des Sachverständigenrats zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung („Wirtschaftsweise“), die die Bundesregierung beraten. Er stellte zu Beginn seines Vortrags klar: „Der Sozialstaat ist keine Krisenursache.“ In allen vergleichbaren Ländern betragen die Ausgaben für Sozialleistungen auch etwa ein Drittel des Bruttoinlandsprodukts. „Wir sind in Deutschland also nicht maßlos.“ Ausgaben in diesem Bereich fangen die Kosten des aktuellen Strukturwandels auf und investieren in die Zukunft. Truger sieht derzeit eine Verschuldung unkritisch. „Das ist aus volkswirtschaftlicher Sicht besser, als ruckartig Steuern anzuheben oder Leistungen zu kürzen.“ Mehr Kinderförderung bedeute beispielsweise langfristig weniger Bürgergeldausgaben. Leider seien solche Vorstöße der vorherigen Bundesregierung nicht umgesetzt worden. „Die Debatte ist gekippt“, bedauerte er.

Professor Dr. Achim Truger auf dem VdK-Forum.
Professor Dr. Achim Truger stellt bei seinem Vortrag klar, dass der Sozialstaat keine Krisenursache sei. © VdK Bayern/Tina Würzburger

Mit ihrer Forschung tritt die Sozialwissenschaftlerin Dr. Jennifer Eckhardt von der TU Dortmund dem „Mythos Hängematte“ entgegen. Statt auf „Totalverweigerer“ zu zeigen, die nur etwa ein Prozent ausmachen, plädierte sie dafür, mit Armutsbetroffenen selbst zu sprechen. Nicht wenige nähmen gar keine der ihnen zustehenden Leistungen in Anspruch. Diese „Dunkelziffer der Armut“ beträgt 85 Prozent beim Bildungs- und Teilhabepaket, 62 Prozent bei Grundsicherung im Alter und 56 Prozent beim Arbeitslosengeld. Aus Unwissenheit, Stolz oder Angst entziehen sich viele dem Sozialleistungs- und damit auch einem Fördersystem. Eckhardt vermutet: „Es wird damit kalkuliert, dass nicht alle das ihnen Zustehende in Anspruch nehmen.“

Sozialwissenschaftlerin Dr. Jennifer Eckhardt am Rednerpult.
Dr. Jennifer Eckhardt am Rednerpult. © VdK Bayern/Tina Würzburger

Professor Dr. Fabian Pfeffer, Soziologe an der Ludwig-Maximilians-Universität München, forscht zur sozialen Ungleichheit. Die Vermögensunterschiede in Deutschland seien hoch, die Einkommensungleichheit hingegen nicht so groß. Anders sieht es in den USA aus, wo beide weit auseinanderdriften. Anschaulich zeigte er in einer Animation, wie hoch der Münzstapel des reichsten Manns der Welt, Elon Musk, reichen würde: von der Erde weit über den Mond hinaus.

Professor Dr. Fabian Pfeffer auf dem VdK-Forum.
Professor Dr. Fabian Pfeffer weist auf die hohen Vermögensunterschiede in Deutschland hin. © VdK Bayern/Tina Würzburger

Wenn reiche Menschen höhere Steuern zahlen müssten, wären viele staatliche Leistungen finanzierbar, so Pfeffer. Diese Mehreinnahmen könnten zur Verbesserung der Infrastruktur verwendet werden: „Mit einem Prozent Steuer ab zehn Millionen Euro Vermögen hätten wir zehn Prozent unserer Ausgaben für Bildung finanziert.“

Das von jungen Ökonomen gegründete Berliner Unternehmen FiscalFuture hat im Auftrag des Sozialverbands VdK ein Steuerkonzept entwickelt. „Eine Vermögensteuer ist verfassungskonform“, betonte Geschäftsführer Carl Mühlbach, deshalb könne sie jederzeit wieder eingeführt werden. Der VdK schlägt vor, Vermögen ab fünf Millionen Euro mit einem Prozent zu besteuern, ab 100 Millionen mit zwei Prozent. Das brächte mindestens 40 Milliarden Euro Mehreinnahmen. Die steuerlichen Freibeträge sollten dagegen erhöht werden. Davon würden Menschen mit geringem und mittleren Einkommen am meisten profitieren.

Carl Mühlbach am Rednerpult beim VdK-Forum.
Carl Mühlbach stellte das VdK-Steuerkonzept vor. © VdK Bayern/Tina Würzburger

Aufs Erbe verzichtet

„Ein reicher Mensch profitiert von einem funktionierenden Staat“, davon ist Kai Viehof überzeugt. Im Gespräch mit Alexander Hagelüken erzählte er, dass er auf Teile seines Erbes verzichtet hat. Dieses Geld steckte er in eine Stiftung, die Projekte zu Umwelt- und Denkmalschutz fördert. Zudem unterstützt Viehof Investigativrecherchen von „Correctiv“ und den Verein „Hate Aid“. Bei reichen Menschen, die er kennt, vermisse er oft Dankbarkeit. Er plädierte für ein anderes Rollenverständnis: „Eigentümer sollten für ihre Arbeit bezahlt werden, nicht einfach für ihr Eigentum.“

Kai Viehof (links) im Gespräch mit Alexander Hagelüken.
Kai Viehof (links) im Gespräch mit Alexander Hagelüken. © VdK Bayern/Tina Würzburger

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Jedes Jahr im Frühjahr wird unter der Regie des VdK Bayern ein zukunftsweisendes Diskussionsforum abgehalten, das Politik und Gesetzgebung bereits maßgeblich beeinflusst hat.